Bindungsangst – wie sie uns Adoptierte ständig hemmt

Vertraust du deinem Partner, deinen engsten Freunden oder deiner Familie zu 100% oder ist da immer dieses kleine Fünkchen Misstrauen und Vorsicht? Fällt es dir schwer, Zuneigung  zu zeigen und zuzulassen? Fühlst du dich abgelehnt, wenn ein/e Freund*in keine Zeit für dich hat?

Wenn wir eine längere Zeit darauf achten in welchen Situationen in uns Traurigkeit, Verzweiflung oder auch Wut aufsteigt, merken wir schnell, dass meist Angst aus uns spricht. Ich könnte ewig Ereignisse aufzählen, bei denen ich mich entweder zurückgewiesen gefühlt habe oder eine Stimme tief in mir, meist unbewusst, sagte: „Vertraue niemandem“. Tatsächlich fällt mir das aber im Alltag gar nicht auf. Ich muss mich mit jedem Konflikt, egal ob mit mir selbst oder mit Anderen, auseinandersetzen und meine Reaktionen und Gefühle hinterfragen. Mit dem Ergebnis, dass sie mir meist übertrieben erscheinen. Natürlich hat jedes Gefühl seine Berechtigung und es gibt gute Gründe für Wut, Angst, Misstrauen und Traurigkeit. Wir müssen uns nur bewusst werden , dass wir durch die Erfahrungen unseres Lebens gelernt haben, wie  wir auf Situationen reagieren. Was  sich für uns richtig anfühlt, muss nicht immer auch so sein. Wir schaffen uns durch unsere Gefühle und Gedanken eine eigene Realität und glauben fest daran. Durch das gestörte Urvertrauen haben wir schon früh begonnen Schutzmechanismen aufzubauen und sind sehr vorsichtig in zwischenmenschlichen Beziehungen. Das ist für alle Beteiligten eine enorme Herausforderung.

Wie ist unsere Bindungsangst entstanden?

Die erste Beziehung, die wir eingehen, ist  die mit unserer leiblichen Mutter. Schon während des Heranwachsens im Bauch, baut das Kind eine Verbindung zur Mutter auf. Der Fötus wird durch sie ernährt und geschützt. Er spürt jede Anspannung und Stress und hat keine andere Möglichkeit, als sich an sie zu binden. Verbindung ist ein Grundbedürfnis, dass unser Überleben sichert. Die Beziehung wird durch die Adoption nun entweder direkt nach der Geburt oder nach einigen Monaten oder Jahren abrupt beendet. Da das Kind die Ursachen noch nicht verstehen kann, sitzt der Schock unendlich tief. Den Verlust, den das Kind nun zu verarbeiten hat, ist gleichzusetzen mit dem Tod eines geliebten Menschen und es beginnt eine Art Überlebenskampf. Egal wie klein das Baby ist, es weiß wer seine/ihre Mutter ist und erkennt sie am Geruch, am Atem, am Herzschlag und an der Stimme. Keine andere Person kann die Mutter in dem Moment ersetzen. Nach diesem traumatischen Erlebnis verbinden wir von nun an tiefe, bedingungslose Liebe und Vertrauen mit Trennung, Hilflosigkeit und Panik und ein Bindungstrauma entsteht.

Sicher kommen im Laufe des Lebens noch weitere Trennungen und Enttäuschungen auf die/den Adoptierte*n zu und diese Erlebnisse geben ihnen die  Bestätigung, dass Liebe und Vertrauen immer wieder Gefahr bedeutet. Wir reiten uns tiefer hinein und bestätigen uns permanent aufs Neue, dass wir Recht hatten und niemand unser Innerstes berühren darf.

Wie zeigt sich Bindungsangst?

Die Anzeichen für Bindungsangst, auch vermeidendes Bindungsverhalten genannt, sind vielfältig und manchmal widersprüchlich. Oft switchen wir auch zum ängstlichen Bindungsverhalten (Verlustangst). Ich möchte auf die häufigsten Zeichen etwas näher eingehen:

  1. Dir jagen zwischenmenschliche Beziehungen Angst ein
    Oft kostet es viel Überwindung und Kraft, neue Leute kennenzulernen oder einen Schritt auf Menschen zuzugehen. Das gilt sowohl für fremde als auch für vertraute Personen. Schon allein das „vor die Tür gehen“ kann manchmal sehr anstrengend sein.

  2. Deine Partnerschaften scheitern immer nach den ersten paar Monaten
    In der Kennenlernphase und den ersten drei Monaten ist alles rundum perfekt und dann geht es los. Es werden vermeintliche Fehler des Anderen erkannt und kritisiert mit der Begründung, dass der/die Partner*in einfach nicht zu uns passt. Wir finden Ausreden, damit  wir uns nicht binden müssen. Angst steigt in uns auf, denn es wird ernst.

  3. Du kannst dich nie komplett fallenlassen und deine Gefühle/Wünsche äußern
    Sobald du etwas ansprechen möchtest, kreisen deine Gedanken darum, was der/die Andere darüber denken könnte. Du malst dir alle möglichen Szenarien des Gesprächsverlaufs vorher aus, um für alles gewappnet zu sein (was natürlich nicht funktioniert und sehr kräfteraubend ist). Du beobachtest dein Gegenüber ganz genau, kennst seine/ihre Einstellung und weißt was du sagen musst, um  angenommen zu werden. Du hast Angst vor Ablehnung.

  4. Dir fehlt das 100%ige blinde Vertrauen zu deiner/m Partner*in/Freund*in/Familie, obwohl es keine logische Erklärung dafür gibt
    Da uns das Urvertrauen fehlt, sehen wir in Allem „Gefahr“. Wir müssen uns schützen, um zu überleben. Wer ein gesundes Urvertrauen entwickelt, glaubt auf natürliche Weise an sich und seine/ihre Fähigkeiten, an andere Menschen und an das Leben. Wir hingegen haben die Erfahrung gemacht, dass die Welt und die Menschen nicht vertrauenswürdig sind.

  5. Du hast lieber viele oberflächliche Bekanntschaften, denen du nicht viel von dir erzählen musst
    Oberflächliche Bekanntschaften vermitteln dir ein Gefühl von Beliebtheit, denn du kennst viele Leute, mit denen du auch mal gerne einen Kaffee trinken gehst aber tiefgründige, ehrliche Gespräche führst du mit ihnen nicht. Du kannst beruhigt deine Gefühle für dich behalten. Anders ist das natürlich bei engen Freundschaften. Da möchten wir die Standardfrage „wie geht’s dir?“ auch ehrlich beantworten, uns Ratschläge abholen oder auch mehr über das Leben des anderen erfahren und ihn/sie unterstützen.

  6. Dir fällt es schwer, Zuneigung  zu zeigen oder zuzulassen
    Du sehnst dich nach Zuneigung, aber machst nie den ersten Schritt. Der/die Andere muss dir sagen und/oder zeigen, wie viel du ihm/ihr bedeutest. Erst dann kannst du dich ein Stück weit öffnen, allerdings gibt es eine Linie, die du andere nicht überschreiten lässt, indem du z.B. flüchtest oder einen Streit provozierst.

  7. Du ergreifst lieber die Flucht als dich unangenehmen Situationen zu stellen
    Egal ob auf der Arbeit, in Beziehungen oder auch bei persönlichen Herausforderungen, du tust alles um Konflikte zu vermeiden. Das passiert in Form von Verdrängung von unangenehmen Gefühlen, Hinausschieben von wichtigen Aufgaben oder auch Vermeiden von ernsten Gesprächen. Alles was an deiner vermeintlichen Perfektion kratzen könnte, muss unterdrückt werden.

  8. Du bezeichnest dich als Perfektionist*in
    In einem Podcast habe ich mal gehört, dass Perfektionismus eigentlich Angst ist, die sich verkleidet hat. Wir denken wir müssen perfekt sein um erfolgreich und glücklich zu werden. Aber es ist vielmehr die Angst vor Ablehnung, die uns zum/zur Perfektionist*in macht. Aus Angst nicht angenommen und gemocht zu werden, geben wir alles, um andere Menschen zufriedenzustellen. Zum Thema Perfektionismus habe ich dir hier noch einen weiteren Blogartikel von mir verlinkt.

Befreie dich von Perfektionismus mit diesen 5 Tipps

Erfahre in diesem Blogartikel woher dein Streben nach Perfektion kommt, was dahinter steckt und wie du dich davon befreien kannst.

Und was machen wir jetzt dagegen?

Kommen dir einige Punkte bekannt vor? Ich finde mich quasi in jedem ein Stück weit wieder. Manche sind stärker, manche schwächer ausgeprägt. Es lohnt sich aber auf jeden Fall, wenn du gerade in einem Konflikt bist und dich Gefühle überkommen, genau hinzusehen. Frage dich, ob  deine Bindungs- und/oder  Verlustangst vielleicht der Grund für diese Reaktion sein könnte. Werde dir bewusst, dass du nicht deine Gedanken und Gefühle bist.  Du bist nur der/die Beobachter*in. Unsere Gedanken sind nicht unsere Realität. Um uns zu schützen kreieren wir uns unsere eigene  Wahrheit, die mit dem echten Leben meist wenig zu tun hat. Werde dir immer wieder bewusst, dass du geliebt bist, dass du wertvoll und sicher bist und dir deine Gedanken selbst erschaffst. 

Durch ganz viele Achtsamkeitsübungen, Meditationen, Bücher, Podcasts, Blogs usw. können wir sicherlich einiges heilen und uns so viel besser verstehen. Allerdings  kann bei einem Trauma, wie wir es erlebt haben, eine professionelle Therapie ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem erfüllteren Leben sein. Psycholog*innen und Therapeut*innen haben noch weitere, intensive Therapiemöglichkeiten, die uns helfen können. Meine Affirmationen sollen dich ebenfalls unterstützen, deinen Selbstwert zu stärken. Melde dich zu meinem Newsletter an und du erhältst die ausgewählten Affirmationen als pdf. 

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